Akustische Botschaften nachbilden

Passives vs. Aktives Sound Design

Wenn wir von „passivem“ Sound Design sprechen, geht es darum, Geräte oder Gegenstände selbst physisch so zu modifizieren, dass sie einen bestimmten Sound erzielen. Am Beginn steht oft eine Transferpfadanalyse (TPA), zum Beispiel mit der PROGNO[I]SE-Software, oder eine Schallquellenlokalisation mittels Beamforming-Technologie mit unserem HEAD Visor, der die wichtigsten Geräuschquellen identifizieren und lokalisieren kann. Beide Herangehensweisen geben eindeutige Hinweise auf Ursachen und Quellen von Geräuschen. Und sobald man diese Ursachen und Quellen kennt, kann man sie durch verschiedene Maßnahmen wie bauliche Änderungen an der Struktur verändern oder gänzlich unterbinden und so die allgemeine Klang- oder Geräuschqualität verbessern. 

Diese Optimierung kann im ersten Schritt auch durch Simulation – mit Hilfe sogenannter virtueller Prototypen – geschehen. Dann besteht keine Notwendigkeit, immer wieder neue Prototypen oder Modifikationen eines Produkts physisch herzustellen, und das spart jede Menge Zeit und Kosten.

Da rauscht’s am Abzug

Schauen wir uns ein Beispiel aus der Praxis an. Zu den lautesten und störendsten Geräuschverursachern im Haushalt gehören Dunstabzugshauben – wer schon einmal versucht hat, sich im Beisein einer auf höchster Stufe arbeitenden Abzugshaube in Ruhe zu unterhalten, weiß das. HEAD acoustics hat in einem Pilotprojekt gezielte binaurale Messungen einer Reihe von Dunstabzugshauben mit seinen Kunstköpfen vorgenommen. Mit Hilfe der Software-Plattform für Schall- und Schwingungsanalysen ArtemiS SUITE können wir bestimmte Aspekte der Aufnahmen synthetisch modifizieren und die Geräuschpalette erweitern, also positive und negative tonale Komponenten absenken oder anheben und transiente Anteile entfernen. Diese Modifikationen können auch Simulationen von realen Änderungen an der jeweiligen Dunstabzugshaube darstellen – also passives Sound Design im Labor nachstellen und so den Bedarf an aufwändigen physischen Modifikationen stark verringern.

Wir haben eine ganze Reihe von auf dem Markt erhältlichen Dunstabzugshauben aufgenommen, gemessen und bewertet.

Vorab ermittelten wir die wichtigsten Klangkomponenten jeder Dunstabzugshaube. Doch um eine verlässliche Aussage darüber zu erhalten, wie menschliche Nutzer:innen die Geräusche der einzelnen Abzugshauben und Modifikationssimulationen bewerten, sind sogenannte Jury Tests notwendig. Die führen wir mit Hilfe der HEAD acoustics-Software SQala durch. Dabei hören Menschen die binauralen Geräusche mit Kopfhörern und bewerten für jedes Signal  die Lautstärke, Schärfe, Tonalität, Lüftungsleistung, den geschätzten Preis und die „Über-alles-Klangqualität“ jedes Modells auf einer 10-Punkte-Skala. Diese Bewertungen der Jury überprüfen wir auf Intraklassen-Korrelationen und werten die Bewertungen mit verschiedenen statistischen Methoden aus. Anschließend korrelierten wir die Ergebnisse der psychoakustischen und akustischen Analysen mit den Ergebnissen der Jury-Tests, um die menschliche Wahrnehmung quantitativ zu beschreiben. So erhalten wir aussagekräftige Ergebnisse, die eine belastbare Grundlage für die optimalen Modifikationen des Produkts liefern.
In den Tests boten wir den Juroren mehrere simulierte Modifikationen an. Das Ergebnis: Die Dämpfung der Seitenwände der Dunstabzugshaube verbesserte die Klangqualität, aber unser vorab gesetztes Ziel erreichte diese Modifikation nur knapp. Als wirkungsvoller stellte sich heraus, das Innere der Dunstabzugshaube mit schallabsorbierenden Materialien zu gestalten. 

Aktiv werden: Active Sound Design

Immer dann, wenn ein Zielgeräusch durch physikalische Änderungen nicht (oder nicht wirtschaftlich) erreichbar ist, helfen synthetische Klangkomponenten dabei, ein erwünschtes Ergebnis zu erhalten. Mit neuen (überlagernden oder maskierenden) Geräuschen, die sich individuell gestalten und interaktiv wiedergegeben lassen, erzielen wir die gewünschte Wahrnehmung bei Fahrgeräuschen, Küchengeräten und anderen Produkten.

Aktives Sound Design kennen viele Autofahrer bereits aus Fahrzeugen – zum Beispiel als über die Lautsprecher eingespielte Motorengeräusche bei Verbrennungsmotoren. Meistens sollen diese eben einen sportlicheren, kraftvolleren Motor suggerieren. Im Elektroauto dient das sogenannte Electrical Vehicle Sound Enhancement (EVSE) dazu, dem Elektromotor einen bestimmten Sound zu verleihen oder einen unangenehmen Klang zu überdecken. Aber auch zum Beispiel die Tastengeräusche bei Weißer Ware fallen in dieses Feld – und auch unsere Dunstabzugshauben können von Aktivem Sound Design profitieren. Wie? Nun, indem wir Klänge einspielen, um von den als „schlecht“ bewerteten Klangkomponenten des Produkts abzulenken und einen angenehmeren Gesamteindruck zu erzeugen.  

Geräusche, Töne und Klänge lassen sich auf mehreren Wegen (passiv) beeinflussen und (aktiv) gestalten.

Soundscape und Sound Design

Auch für das Thema Soundscape spielt Sound Design eine wichtige Rolle. Soundscape ist das akustische Äquivalent der visuellen Landschaft – also die akustische Umgebung, die eine Person oder eine Gruppe von Menschen im Kontext wahrnimmt, erfährt oder begreift. Allen, die tief in das Thema eintauchen möchten, empfehlen wir die Springer-Publikation "Soundscapes: Humans and Their Acoustic Environment". 

Ein grundlegendes Problem unserer Zeit sind akustisch überfrachtete Umgebungen in Städten, in industriellen Umgebungen oder überall, wo viele Menschen oder Maschinen Geräusche emittieren. In Abgrenzung dazu stehen akustisch differenzierbare Klanglandschaften wie zum Beispiel im Wald oder auf einer Bergwiese. Die Überfrachtung der akustischen Umgebung hat seit Beginn der Industrialisierung stark zugenommen und führt nicht nur – so postulieren es R. Murray Schafer und Barry Truax – zur „Verkümmerung menschlicher Hörgewohnheiten“, sondern kann auch krank machen. Eine akustische Umgebung passiv und aktiv so zu gestalten, dass sie die Menschen nicht stört, nicht krank macht und im besten Falle sogar positiv auf sie wirkt, kann das Ziel von aktiver Gestaltung von Soundscapes sein. Dabei ist es wichtig, klarzustellen, dass ein positiver Soundscape nicht unbedingt immer leise sein muss, sondern dass jeder Sound – ob leise oder laut – kontextabhängig als Design-Ressource genutzt werden kann. Gute Musik hört man gerne laut, und lautes Meeresrauschen stört die Wenigsten.

Um die Ziele von akustischer Gestaltung im Rahmen von Soundscape klar zu definieren, sind Standards notwendig. HEAD acoustics hat maßgeblichen Anteil an der Etablierung des Standards ISO 12913, der Soundscape definiert und einen konzeptionellen Rahmen dafür bietet. Diese internationale Norm versteht Soundscape als ein Wahrnehmungskonstrukt , das mit einem physikalischen Phänomen verbunden ist. Die Norm unterscheidet zwischen dem Wahrnehmungskonstrukt (Soundscape) und dem physikalischen Phänomen (akustische Umgebung). Sie stellt klar, dass Soundscape durch die menschliche Wahrnehmung der akustischen Umgebung entsteht und erläutert die Faktoren, die für die Messung und Berichterstattung bei Soundscape-Studien und für die Planung, Gestaltung und den Umgang der akustischen Umgebung im Sinne eines positiven Soundscape relevant sind.

Zum Thema Psychoakustik in der Soundscape-Forschung finden Sie ein faszinierendes Kapitel unseres Gründer und Gesellschafter Prof. Dr.-Ing. Klaus Genuit in der oben genannten Springer-Publikation "Soundscapes: Humans and Their Acoustic Environment". 

Wen spreche ich bei HEAD acoustics an?
Unsere Engineering Services sind Ihre Ansprechpartner für alle Dienstleistungsprojekte rund um Sound Design für Ihre Produkte – von einfachen Teileuntersuchungen bis hin zu kompletten Produktgeräuschoptimierungen.