ANC-Headset-Tests
Beim Telefonieren oder Nutzen von Multimedia-Anwendungen sind Headsets mittlerweile unverzichtbar geworden, und da immer mehr Menschen nicht im Büro arbeiten, wird sich dieser Trend noch verstärken. Audio-/Video-Gruppenanwendungen wie MS Teams, GoToMeeting und Zoom funktionieren nun mal am besten mit hochwertigen Headsets, und insbesondere in mobilen Szenarien ist zudem eine aktive Geräuschunterdrückung (Active Noise Cancellation, ANC) ein Muss. Headset-Hersteller richten sich nach unterschiedlichen ANC-Zertifizierungsschemata von verschiedenen Anwendungsanbietern, um ihre Produkte zu qualifizieren, und die Implementierung neuer Technologien erfordert komplexe Technologien und Optimierungsstrategien. Das fängt bereits bei der Verwendung des richtigen künstlichen Ohrs an. Das Ziel ist es immer, den „normalen“ Menschen so genau wie möglich im Labor zu simulieren und eine möglichst realistische Testumgebung zu schaffen, die die Kommunikationsbedingungen und typisch menschliches Verhalten berücksichtigt.
Die richtige Wahl des künstlichen Ohrs
Realistische Messungen und eine hohe Reproduzierbarkeit der Messungen stehen eigentlich im Widerspruch zueinander: Je einfacher (und damit realitätsfremder) ein Ohrsimulator ist, desto reproduzierbarer sind für gemeinhin die Ergebnisse. Um moderne Kommunikationsgeräte zu messen, brauchen wir jedoch realistische Simulationen des Gehörgangs, der Ohrimpedanz und der mechanischen Eigenschaften der komplexen Struktur und Geometrie des menschlichen Ohrs. Geräuschunterdrückende Headsets erfordern außerdem Messgeräte mit sehr geringem Eigenrauschen. Dies betrifft insbesondere das Mikrofon.
Die ITU-T hat diese Problematik in ihrer jüngsten Überarbeitung der Empfehlung P.57 aufgegriffen und zwei neue Arten von künstlichen Ohren vorgeschlagen, die die Ohrmuschel und den Gehörgangseingang des menschlichen Ohrs viel genauer als bisher nachbilden. Die Empfehlung beschreibt auch die Anforderungen an rauscharme Ohrsimulatoren mit einem Ruhepegel unterhalb der Diffusfeld-Hörschwelle.
Der Kunstkopf HMS II.3 LN- HEC, ausgestattet mit einem künstlichen Ohr des Typs 4.4, erfüllt diese Anforderungen ideal.
Die anatomisch geformte Pinna ermöglicht einen natürlichen Sitz, insbesondere bei Intra-Concha-Kopfhörern, da die Form des Concha-Bodens und die Ausrichtung des Gehörgangs dem des Menschen am ähnlichsten sind. Bei künstlichen Ohren, die eine 90-Grad-Ausrichtung des Gehörgangs besitzen, können sie oft nur durch Biegen des aus Gummi gefertigten Gehörgangs des künstlichen Ohrs positioniert werden – die Folge ist ein unnatürlicher Sitz.
Links ein HMS II.3 Kunstkopf, mit einem künstlichen Ohr des Typs 3.3; rechts ein HMS II.3 LN-HEC mit einem künstlichen Ohr des Typs 4.4, der für die Messung von Intra-Concha-Kopfhörern besser geeignet ist
Hier sehen Sie, wie viel niedriger das Grundrauschen von HMS II.3 LN HEC mit einem künstlichen Ohr vom Typ 4.4 (grün) im Vergleich zu einem herkömmlichen HMS II.3 mit einem künstlichen Ohr vom ITU-T-Typ 3.3/3.4 (blau) im Verhältnis zur menschlichen Hörschwelle (grau) ist.
Wesentliche Setup-Anforderungen
Eine nahezu symmetrische Schalldämpfung zwischen dem linken und dem rechten Ohr weist auf eine korrekte Positionierung hin – und die ist entscheidend. Ein zu starker Druck auf die Headsets würde zudem die natürliche Kopplung mit den menschlichen Ohren nicht widerspiegeln. Wir wiederholen jeden Test mit jedem Headset mindestens fünfmal und mitteln die Ergebnisse. Damit werden positionierungsbedingte Unterschiede in den gemessenen Übertragungsfunktionen insbesondere bei hohen Frequenzen ausgeglichen.
ANC-Performance
Die Umgebungsgeräuschdämpfung ist die wichtigste Messung zur Bestimmung der ANC-Performance. Wir unterscheiden dabei die passive Dämpfung, die ein Headset bei ausgeschaltetem ANC bietet, die Gesamtdämpfung – also die passive Dämpfung des Headsets plus eingeschaltetes ANC –, und die aktive Dämpfung. Diese ist die Differenz zwischen der Gesamtdämpfung und der passiven Dämpfung und gibt genau an, wie stark das ANC den Außenschall dämpft. Für solche Messungen ist es unerlässlich, realistische Hintergrundgeräusche in einer Laborumgebung zu simulieren. Aber das ist nicht genug: ANC-Systeme reagieren adaptiv und passen sich der Hintergrundgeräuschsituation mit einer gewissen Verzögerung an. Wenn wir die Dämpfung im adaptierten Zustand messen wollen, konditionieren wir das Headset vor dem Test mit dem Hintergrundgeräusch, das auch bei der Messung verwendet wird.
So haben wir unser ANC-Headset-Testsystem konfiguriert. Das Analysesystem besteht aus unserem ACQUA, labCORE und HMS II.3 LN HEC sowie der Simulation von Hintergrundgeräuschen mit unseren Geräten 3PASSlab und labBGN. Der HMS II.5 Kunstkopf kann eine störende sprechende Person für Talk-Through-Tests simulieren
Einige typische Messergebnisse bei der Durchführung solcher Tests sind in den folgenden Diagrammen dargestellt, die die Gesamt-, aktiven und passiven Umgebungsgeräuschdämpfung angeben. Die passive Umgebungsgeräuschdämpfung für dieses Intra-Concha-Gerät ist unter 200 Hz nur marginal (1), kann aber im Frequenzbereich von 30 Hz bis 1 kHz durch Aktivierung der ANC-Funktion dieses Headsets verbessert werden (2). Die Aktivierung von ANC kann jedoch die Dämpfung bei höheren Frequenzen verringern (aktiver Einfügungsverlust zwischen 3 und 10 kHz in (3)).
(1)
(2)
(3)
Passive, aktive und gesamte Dämpfung, links/rechts, gemessen in einem diffusen Rosa-Rauschen-Schallfeld für ein Intra-Concha Headset
Das Eigenrauschen des künstlichen Ohrs kann die Messung beeinflussen, wenn das Eigenrauschen des Headsets sehr gering ist. Je geringer das Eigenrauschen des Headsets ist, desto stärker wird das Eigenrauschen des künstlichen Ohrs die Messung beeinflussen. Das Eigenrauschen des künstlichen Ohrs kann die Messung verfälschen und zu einem virtuell höheren Rauschpegel führen. Daher sollte bei allen ANC-Headset-Messungen ein künstliches Ohr verwendet werden, das die in der aktuellen ITU-T-Empfehlung P.57 definierten Anforderungen an das Eigenrauschen erfüllt und den Impedanzanforderungen entspricht, die für künstliche Ohren der ITU-T-Typen 4.3 und 4.4 festgelegt sind.
Talk-Through-Performance
Viele Headsets bieten einen "Talk-Through"-ANC-Modus, um die Umgebung besser zu hören, zum Beispiel bei Durchsagesystemen oder bei Sprechern in der Umgebung. Natürlich wollen wir auch wissen, wie gut dieser Modus funktioniert, denn die Hersteller implementieren ihn auf unterschiedliche Weise in ihr ANC. In der Abbildung oben sehen Sie einen typischen Testaufbau: Ein Kunstkopf (Head and Torso Simulator, oder HATS) simuliert den Sprecher in einer lauten Umgebung. Aber wie können wir verstehen, wie gut der Talk-Through-Modus mit ANC funktioniert, das unerwünschte Geräusche abschwächt und die Stimme des Sprechers durchlässt? Wir messen die Anstrengung, die erforderlich ist, um einem Sprecher zuzuhören, wenn er ein Headset trägt. Die ABLE-Methode (Assessment of Binaural Listening Effort) bewertet die Geräte auf einer Skala von 5 (keine Anstrengung erforderlich) bis 1 (keine Inhalte mit jeder erdenklichen Anstrengung zu verstehen). Es ist eine binaurale, perzeptiv motivierte Methode, die auf der Wahrnehmung eines durchschnittlichen Benutzers basiert.
Die folgende Tabelle zeigt ein Beispiel für ein Intra-Concha-Headset mit eingeschaltetem ANC, ausgeschaltetem ANC und aktiviertem Transparenzmodus.
- Bei eingeschaltetem ANC ist die Höranstrengung hoch. Wir gehen davon aus, dass dies der Fall ist, da die ANC die Außengeräusche, einschließlich der Sprecher, dämpft: Die Lautstärkereduzierung der Außengeräusche beträgt 20 Phon.
- Bei ausgeschaltetem ANC ist die Höranstrengung geringer, aber auch die Lautstärkereduzierung ist geringer.
- Im "Transparenzmodus" ist die Höranstrengung einigermaßen gering. Wir erhalten einen sogenannten Mean Opinion Score (MOS) von 3,0: Für den Benutzer ist es viel einfacher, einen externen Sprecher zu hören. In dieser Situation beträgt jedoch die Lautheitsreduzierung der externen Geräusche nur 1,7 phon.
| ANC on | ANC off | Transparency Mode |
|
MOS-LE (ETSI TS 103 558 / ABLE) | 1,9 | 2,4 | 3 | MOS |
Loudness Reduction (ISO 532-1, Zwicker method) | 20,1 | 15,7 | 1,7 | phon |
Wir haben die Höranstrengung mit ABLE für ein Intra-Concha-Headset in verschiedenen Modi und entsprechender Lautheitsreduzierung unter Verwendung von Fluglärm gemessen
Daher überlassen die Headset-Hersteller es den Nutzer:innen, die für die jeweilige Situation geeignete Einstellung zu wählen. Diese Messkombination liefert die wichtigsten Informationen für die Headset-Hersteller, um die Talk-Through-Funktion so zu implementieren, wie sie es für richtig halten.
Klangqualität
Die Klangqualität ist nicht nur für die Audiowiedergabe, sondern auch für die Sprachkommunikation entscheidend. Wir messen die Klangqualität physikalisch korrekt: Wir verwenden eine Nachbildung des menschlichen Ohrs und eine genaue Simulation der durchschnittlichen menschlichen Ohrimpedanz, wobei wir die Headsets sorgfältig auf dem Kunstkopf positionieren. Für eine wahrnehmungsmäßig korrekte Messung müssen wir die richtige HATS-Entzerrung in Empfangsrichtung wählen. Die am häufigsten verwendete Entzerrung ist die Diffusfeld-Entzerrung. Wenn sie angewandt wird, sollte die Messung der Ansprechcharakteristik nahezu flach sein - natürlich innerhalb gewisser Grenzen und ohne Berücksichtigung der vom Hersteller angegebenen Vorlieben für die Klangwiedergabe. In der Abbildung unten sehen Sie ein typisches Beispiel für eine Frequenzgangcharakteristik, die mit allen hörbaren Frequenzen gemessen wurde:
Frequenzgang für ein Intra-Concha-Headset
Die Messergebnisse am linken und rechten Ohr stimmen ziemlich genau überein - das ist gut. Wir können einen Abfall bei hohen Frequenzen und einen Einbruch bei 10 kHz feststellen. Allerdings können wir auf der Grundlage dieser einzelnen Messung keine endgültigen Urteile über die Klangqualität von Sprache oder Audio abgeben. Deshalb verwenden wir für die Bewertung der Audioqualität das wahrnehmungsbasierte Verfahren MDAQS (basierend auf echten menschlichen Bewertungen). MDAQS bietet einen besseren Einblick in die tatsächliche Klangqualität anhand von einfach zu verstehenden Bewertungen für Klangfarbe, Verzerrung, Immersivität und Gesamtqualität.
Intra Concha headsets | Timbre | Distortion | Immersiveness | Overall |
H 1 | 2.5 | 2.9 | 2.6 | 2.3 |
H 2 | 4.7 | 3.4 | 4.3 | 4.4 |
H 3 | 4.4 | 3.4 | 3.4 | 4.1 |
H 4 | 4.7 | 3.3 | 3.9 | 4.3 |
Mit MDAQS gemessene Audioqualität (in MOS) für verschiedene Intra-Concha-Headsets, wobei H 2 insgesamt das beste Ergebnis erzielt
Sprachqualität
Eine Messung, die wahrnehmungsmäßig gut korrelierende Ergebnisse für die Sprachqualität in der Gegenwart von Störgeräuschen liefert, stellt 3QUEST dar. Sie ermöglicht es, die Übertragungsqualität der Sprache, die Beeinträchtigung durch das Störgeräusch und die Gesamtqualität separat zu bestimmen. Auch hier ist die technische Grundlage die Verwendung eines diffusfeldentzerrten Kunstkopfes, der mit einem rauscharmen Ohrsimulator ausgestattet ist und die menschliche Ohrimpedanz korrekt nachbildet. In der folgenden Tabelle sehen Sie Beispielergebnisse für ein Intra-Concha-Headset mit verschiedenen Hintergrundgeräuschen.
Road | Cafe | Train | |
S-MOS | 3,4 | 3,4 | 3,7 |
N-MOS | 3,2 | 3,2 | 4,6 |
G-MOS | 2,8 | 2,8 | 3,6 |
Wir haben die Übertragungsqualität der Sprache (S-MOS), die Störgeräusche (N-MOS) und die Gesamtqualität (G-MOS) mit 3QUEST für ein Intra-Concha-Headset und mit verschiedenen Geräuschen gemessen
Geräuschunterdrückung bei Straßenlärm und Cafégeräuschen nicht so gut funktioniert - die Sprachqualität ist jedoch bei allen Hintergrundgeräuschen relativ hoch.
Aussagekräftige Tests für die Praxis
HEAD acoustics ermöglicht Messungen für alle Anwendungsfälle von ANC-Headset-Tests. ANC-Headset-Tests erfordern einen Kunstkopf mit realistischen Kunstohren, Mikrofone mit geringem Eigenrauschen und eine korrekte Entzerrung. Darüber hinaus sind ein Setup zur realistischen Simulation von Hintergrundgeräuschen und geeignete Hintergrundgeräusche erforderlich. Ein zweiter HATS kann einen externen Gesprächspartner simulieren. Hohe Präzision, Konsistenz und ein ganzheitlicher Ansatz machen die Lösung von HEAD acoustics einzigartig.
Vertiefende Lektüre zu einigen der oben genannten Standards und Empfehlungen
- ITU-T Recommendation P.57: 06/2021, Artificial ears (external link)
- IEC 60318-4:2010, Electroacoustics – Simulators of human head and ear – Part 4: Occluded-ear simulator for the measurement of earphones coupled to the ear by means of ear inserts (external link)
- ISO 389-7:2019, Acoustics – Reference zero for the calibration of audiometric equipment – Part 7: Reference threshold of hearing under free-field and diffuse-field listening conditions. (external link)
- ETSI TS 103 224: A sound field reproduction method for terminal testing, including a background noise database (external link)
- ITU-T Recommendation P.58: 06/2021, Head and torso simulator for telephonometry (external link)
- HEAD acoustics datasheet: MDAQS – Multidimensional Audio Quality Score
- HEAD acoustics datasheet: 3QUEST 3- fold Quality Evaluation of Speech in Telecommunications
- ETSI TS 103 281: 05/2019, Speech quality in the presence of background noise: Objective test methods for super-wideband and full-band terminals (external link)
- ETSI TS 103 558: 07/2021, Methods for objective assessment of listening effort (external link)
- HEAD acoustics datasheet: ABLE – Assessment of Binaural Listening Effort
- ISO 532-1: 06/2017, Acoustics - Methods for calculating loudness - Part 1: Zwicker method (external link)
- HEAD acoustics datasheet: HMS II.3 LN HEC – Fullband artificial head with very low inherent noise and a human-like ear canal